Die Psychoanalyse und die Funktion des Vegnügens
Freud war zweifellos einer der Hauptverantwortlichen für das Bild, welches wir uns heute von der Sexualität machen. Die sexuellen Triebe hätten gemäß ihm zwei Funktionen: eine Fortpflanzungs- und, was für die Mehrzahl gilt, eine Vergnügensfunktion. Der Mai 1968 hat zusätzlich seinen Beitrag dazu gegeben, unter der Ägide einer Befreiung des Vergnügens.
Kein Trieb hat jedoch als Ziel einzig das Vergnügen. Wenn wir ein gutes Entrecote essen, haben wir sicherlich ein intensives Vergnügen. Das Verlangen aber, das uns drängt, erfüllt eine biologische Funktion: dem Körper die nötigen Proteine zuzuführen und unser Überleben zu sichern. Das gleiche Schema gilt für alle Triebe. Die Mutter, die ihr Kind stillt, empfindet ein erotisches Vergnügen, aber das Ziel des Stillen ist das Überleben des Kindes und durch es das der Spezies.
Die Vollendung jeden Triebes befindet sich jenseits des Vergnügens. Dieses hat nur eine Motivations- und Lernfunktion. Es bringt die zerebralen Belohnungszentren ins Spiel, was das Verhalten prägt wie jede Konditionierung. Beim Individuum bleibt eine positive Erinnerung an die hedonischen Situationen zurück und bringt es zur Wiederholung, ohne wie beim ersten Mal herumtappen zu müssen. Der Prozess ist sowohl bewußt, als auch unbewußt. Nach einer gewissen Zeit verblasst die bewußte Erinnerung des Vergnügens, und die Suche nach derselben Situation wird weitgehend automatisch.
Als umgekehrte Funktion gibt es das Missvergnügen: Eine Situation, die als unangenehm empfunden wird, wird durch die Gehirnzentren der Bestrafung als zu vermeiden gespeichert. Nach einigen Wiederholungen, manchmal schon nach einer Erfahrung, werden die Triebe, die zu dieser Situation geführt haben, gehemmt oder in andere Richtungen umgelenkt, ohne dass das Individuum daran denken muss. So sichern die Belohnungs-/Bestrafungshirnzentren die psychische Strukturierung, die dann im erwachsenen Alter stabil bleiben. Das Individuum wird dann Situationen suchen, die von Vergnügen geprägt worden sind, und das muss logischerweise nützlich für das Überleben des Individuums und der Spezies sein.
Tatsächlich haben die Evolutionsgesetze das Vergnügen mit nützlichem Verhalten verbunden. Ein Tier, welches in einer schädlichen Situation Vergnügen empfände, würde sie wiederholen und sich damit in einen Unterlegenheitszustand bringen. Angesichts der sehr harten Konkurrenz der Naturwelt, hat es weniger Überlebens- und Reproduktionschancen. So ist vorherzusehen, dass das Vergnügen vor allem nützliche Verhaltensweisen prägt.
Ein Trieb aber, der als Ziel nur Vergnügen hätte, bedeutete einen unnötigen Zeitverlust und In-Gefahrbringen. Das Vergnügen an sich garantiert keinen oder wenig Vorteil im Hinblick auf das Überleben der Spezies. Ein solcher Trieb hätte beste Chancen eliminiert zu werden. Logischerweise kann man erwarten, dass die sexuellen Triebe, die kein Fortpflanzungsziel aufweisen, eine andere Funktion jenseits des Vergnügens haben.
Es taucht also die Frage auf: Worin besteht diese Funktion? Die Beobachtungen, die im Rahmen der Urpsychologie gemacht wurden, haben gezeigt, dass diese Funktion übersinnlicher Art ist. Freud verneinte die Realität paranormaler Phänomene. Es war ihm nicht möglich eine derartige Zweckbestimmtheit den erotischen Trieben zuzuschreiben. Daher stammt seine Behauptung, dass die „polymorphen“ Triebe einen rein hedonischen Zweck hätten. Der ganze rationalitische Westen, der sich ebenfalls nicht auf eine übersinnliche Dimension berufen konnte, hat sich in dieselbe epistemologische Kurzfassung ergossen.
Die Konsequenzen dieser Verschleierung sind unermesslich. Sie rechtfertigt allerlei häufig unrealisierbare sexuelle Verbote, die nicht vorstellbar wären, wäre man sich der transzendenten Funktion physischer Kontakte bewußt. Sie führt außerdem zu mit diesen Verboten verbundenen Schuldgefühlen, zu Schuldgefühlen mit unbewußtem Ursprung, da die nur dem Vergnügen dienenden Kontakte intuitiv als unnatürlich empfunden werden. Sie hält die Sexualität in aller Munde, weil sie eine tiefgehende unerklärliche Frustration hervorruft, ohne die zahlreichen Beziehungskonflikte mitzurechnen.
Zu allem Überfluss fixiert sich das Vergnügen auf unangebrachte Situationen, prägt z.B. das Trugbild des ewigen Paares oder des ersten Geschlechtsverkehrs, eine Quelle von zahlreichen Enttäuschungen für die neuen Kandidaten. Impotenzreaktionen werden allen möglichen physiologischen oder psychologischen Gründen zugewiesen, während sie häufig nur eine Verteidigungsreaktion gegen unnatürliches Verhalten sind usw.
Die Psychanalyse wurde durch diesen Anfangsfehler nicht nur in ihrer therapeutischen Effizienz limitiert, wobei sie es den Patienten überließ sich ein falsches Bild ihrer psychosexuellen Strukturen zu schaffen, sondern sie hat sich gleichzeitig zum Komplizen einer gegen die Natur gerichteten Situation gemacht, die sich durch eine endemische Neurose, Aggressionsanstieg, Pornographie, Verdammung der Homosexualität, Bevölkerungsexplosion und durch den Verlust der übersinnlichen Fähigkeiten bemerkbar macht.
Man versteht die Kräfte, welche die Gegner des Freudismus bewegen. Sie fühlen, ohne dass sie es zu formulieren wissen, die Verwechslung mit ihren schweren Konsequenzen. Der Freudismus kann sich nicht länger einen wissenschaftlichen Anschein geben, da er auf einem Postulat aufbaut, das gegen die Realität und den gesunden Menschenverstand verstößt.
Der Mai 1968 war sicherlich ein unbewußter kollektiver Versuch, diese höhere Dimension durch die Liebe wiederzuentdecken und Schuldgefühle und allgemeine Aggressivität hinter sich zu lassen (change your mind, be yourself, make love not war). Die Verwechslung zwischen übersinnlicher Wahrnehmung und halluzinatorischen Zuständen hat unglücklicherweise zu seinem Scheitern geführt, bis zu der Verachtung, die man heute gegenüber dem Stil „Babacool“ empfindet. Eine korrekte Positionierung der Psychoanalyse hätte zweifellos erlaubt die Sackgasse zu vermeiden. Vielleicht ist es die Aufgabe der Urpsychologie das Ziel neu auszurichten.